Wim-Hof-Methode: So wurde ich vom Frostködel zur Eisprinzessin

Ich mache den Selbsttest mit extremer Kälte und möchte meine eigenen Grenzen überschreiten: im Eisbad mit der Wim-Hof-Methode. Ein Erfahrungsbericht…

1000 Messerstiche in meinen Waden. Ich kann kaum atmen und unterdrücke die aufsteigende Panik. So fühlt es sich also an im Eisbad. Die ganze Nacht habe ich nicht geschlafen, aus Furcht vor dem zwei Grad kalten Wasser: übrigens dem Highlight dieses Workshops. Und eine Grenzerfahrung für mich. Ach ja, deswegen bin ich ja hier – hatte ich kurz vergessen. Aber ganz von vorn:

Die WIM HOF METHODE

Wim Hof – The Iceman – ist niederländischer Extremsportler, der 26 internationale Rekorde im Ertragen von extremer Kälte hält. Darunter auch den Rekord für das längste Eisbad. Möglich macht dies eine von ihm entwickelte Technik, die auf drei Säulen beruht: Atem, Kälte und Mentaltraining. Klingt super, denke ich und melde mich in meinem jugendlichen Leichtsinn zu einem Workshop an.

 

The limit is not the sky.
The limit is the mind.
(Wim Hof)

 

Schon lange bin ich fasziniert von Biohacking-Methoden. Beim Biohacking geht es darum, seinen Körper und Geist besser zu verstehen um zu lernen, beides bewusster zu steuern. Auch beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Ernährung – und den Auswirkungen auf die Organe, den Darm und die Zellen. Ich ernähre mich zu 80 Prozent vegan, rauche und trinke nicht, mache Sport, meditiere, nehme Mikronährstoffe und entgifte regelmäßig. Mit meinem Körper kenne ich mich also gut aus. Auch dass der Atem beruhigend wirkt, war mir schon klar. Doch welche Kraft der Atem in Verbindung mit Kälte hat, war Neuland für mich.

Weitere Benefits von Kälte

  • Aktiviert den Stoffwechsel
  • Fördert die Durchblutung
  • Hilft bei Depressionen
  • Beugt dem Austrocknen der Haut vor
  • Regt die Schilddrüse an
  • Verstärkt das Muskelwachstum
  • Lindert Schmerzen
  • Erhöht die Testosteronproduktion
  • Verbessert die Schlafqualität
  • Hilft gegen Diabetes und Bluthochdruck
  • Erhöht die Lebensdauer
  • Fördert die Achtsamkeit
  • Verbessert die Kälteresistenz
  • Wandelt weißes in braunes Fett um (hilft beim Abnehmen und Entschlacken)

 

Erste Säule – der Atem

Die Wim-Hof-Atemtechnik ist eine bewusste Hyperventilation. Da diese Technik nicht ganz ohne ist, würde ich auf jeden Fall empfehlen, sie von einem erfahrenen Wim-Hof-Instruktor zu lernen. Es gibt zwar unzählige Videos dazu im Netz, doch du kannst dich ganz schnell bewusstlos atmen. Diese Technik ist kraftvoll und unter anderem in der Lage, das Immunsystem, die Vitalfunktionen und Konzentrationsfähigkeit positiv zu beeinflussen: Der pH-Wert im Blut steigt und macht basisch, der Entzündungswert sinkt und die Selbstheilungskräfte werden aktiviert. In der Theorie alles easy.

Ich liege auf der Matte und atme 30 bis 40 mal kraftvoll ein und locker wieder aus. Dabei achte ich auf meinen Bauch, die Rippen und zuletzt den Kopf und lenke meine Atmung bewusst durch diese drei Stationen. Ich konzentriere mich darauf, weniger Luft aus- als einzuatmen. Es fühlt sich komisch an, so schnell zu atmen. Michael, der Instruktor schlägt die Trommel im Takt, das beruhigt mich etwas. Meine Lippen und Fingerspitzen beginnen zu kribbeln und ich fühle mich unwohl. All diese Symptome sind normal und gewollt. Nach dem letzten Atemzug, wird sämtliche Luft ausgeatmet und dann die Luft angehalten. Panik steigt in mir auf: Mit leeren Lungen die Luft anzuhalten, beklemmt mich.

Ich zwinge mich, meinen Atemreflex zu beobachten und ihn durch das bewusste Anspannen einzelner Regionen zu steuern. Ich schaffe knapp eine Minute. Als ich es nicht mehr aushalte, atme ich einmal tief ein, um dann sofort für weitere 15 Sekunden die Luft anzuhalten. Den Druck presse ich nun fokussiert in meinen Kopf und gebe meinem Gehirn einen extraboost Sauerstoff. Dieser Teil ist der, bei dem dein Sitznachbar gerne mal bewusstlos zu dir rüber kippt. Ich bleibe bei Bewusstsein, habe aber schweißnasse Hände.

Dann ist die erste Runde beendet. Das Ganze wiederholen wir noch weitere vier Male. Am Ende der letzten Runde kommen noch Liegestütze während des Luftanhaltens hinzu. Häufig ist man nach den Atemrunden leistungsfähiger: Ich schaffe elf Stück. Rekord.

Mit jeder Runde nimmt die Länge des Luftanhaltens zu. Meine Panik ebbt hingegen nur langsam ab. Dafür kommen Schwindel und Ohrensausen dazu. In Runde vier und fünf bin ich in anderen Sphären, sehe blaues und lilafarbenes Licht vor meinem dritten Auge kreisen und habe das Gefühl zu schweben. Dann fange ich – wie fast alle im Raum – vor Kälte an zu zittern, obwohl ich unter zwei dicken Decken liege.

Doch nach diesen fünf Atem-Runden bin ich ein neuer Mensch. Während die meisten meiner Mitstreiter ermattet am Boden liegen, könnte ich nun Bäume ausreißen – soviel Energie habe ich gerade getankt.

Zweite Säule – die Kälte

Ich gehörte immer zu den Menschen, die schnell frieren. Ein Winter ohne tägliche Wärmflasche und dicke Socken war unvorstellbar. Vor gut einem Jahr änderte sich das. Denn ich habe angefangen, mit Kälte zu arbeiten. Kryotherapie setzen übrigens auch viele Leistungssportler ein, um schneller zu regenerieren. Mittlerweile laufe ich fast das ganze Jahr über Barfuß oder in offenen Schuhen. Im Winter stecken meine Füße ohne Socken in leichten, ungefütterten Stiefeletten – das höchste der Gefühle sind Einlegesohlen aus Lammfell. Ich versuche mich nicht mehr so dick anzuziehen und dusche täglich kalt.

Beim Workshop steht nun das Eisbad an. Jeder kann entscheiden, wie weit er gehen möchte, um seine Erfahrungen mit der Kälte zu machen. Ich entscheide mich für das Eisbad, auch wenn ich noch nicht so recht weiß, wie ich das überleben soll.

Wir stellen uns sechs Minuten in den Horse Stance – einem tiefen, breitbeinigen Stand, der auch im Shaolin Kung-Fu und Tai-Chi ausgeübt wird: Er stärkt das Chi und kultiviert die innere Kraft, dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Dazu bewegen wir die Arme kreisförmig vor dem Körper und brüllen: „Hu Ha Hu Ha“. Meine Oberschenkel brennen ab Minute Zwei.

Die Gruppe marschiert als Einheit halbnackt nach draußen und positioniert sich bei minus drei Grad um den Pool. Dieser ist randvoll mit Eiswasser und Eiswürfeln gefüllt. Es fängt an zu schneien – na, herzlichen Glückwunsch.

Nacheinander steigen wir nun in das Eisbad. Wir fokussieren uns als Gruppe gemeinsam auf denjenigen, der in den Pool steigt. Ich schicke jedem einzelnen gedanklich einen Feuerball. Dann bin ich an der Reihe. Der kräftige Typ neben mir soll ein Foto machen, doch er kann seine Finger nicht bewegen, hat blaue Lippen und zittert. Ach, nicht wichtig.

Ohne nachzudenken steige ich schnell in das Wasser und unterdrücke meine Schnappatmung. Der Lehrer ist an meiner Seite und achtet darauf, dass ich meinen Körper nicht anspanne. Ich atme langsam ein und aus. Warum muss Eiswasser so kalt sein?

Dann fragt er, ob ich ein Lied kenne. Meine Gehirnmasse ist eingefroren, ich kann nicht denken. Also schmettert er: „Somewhere over the Rainbow“ und ich stimme lauthals mit ein. Das lenkt mich ein paar Sekunden ab. Dadurch entspanne ich tatsächlich meine Schultern und meinen Bauch. Weiter unten im Körper ist es jedoch am schlimmsten: Meine Waden und Oberschenkel tun höllisch weh. Ich möchte schreien, atme aber ruhig weiter und versuche den Schmerz auszublenden.

Als ich aus dem Becken steige, bekomme ich tosenden Applaus von der Gruppe. Ich schaue in den Himmel, fange an zu heulen und stoße einen Urschrei aus. Meine Füße spüre ich nicht mehr, die Badelatschen zieht mir jemand anderes an.

Dritte Säule – das Mentaltraining

Das Mentaltraining ist beim Arbeiten mit der Kälte ein wichtiger Baustein. Trainiert werden geistige Stärke und Disziplin. Und davon braucht man eine ganze Menge im Eiswasser – doch auch eine eiskalte Dusche am Morgen gleicht anfangs reiner Folter. Bevor wir also in das Eisbad steigen, arbeiten wir mit unserem Geist. Ich visualisiere immer wieder, wie ich in das kalte Wasser steige, wie ich es unglaublich genieße und energiegeladen wieder herauskomme.

Kurz habe ich die besorgte Stimme meiner Freundin im Ohr: „Du wirst dir eine Lungenentzündung holen“. Doch ich gebe der Angst keinen Raum und konzentriere mich auf meinen Atem und meine Gedanken. Tatsächlich macht es einen großen Unterschied, den Geist mit einzubeziehen. Das kenne ich schon vom Meditieren oder Kitesurfen: vor jeder neuen Figur, die ich lernen möchte, gehe ich diese zuerst mental durch – bevor ich sie im Wasser ausprobiere.

Nach dem Eisbad bin ich erstaunt, wozu der menschliche Körper fähig ist und stelle erneut fest: Es ist doch immer wieder eine bewusste Entscheidung im Geist, die den Unterschied macht. In diesem Fall die Entscheidung, meine Grenzen zu überschreiten und mich nicht von meinem Geist limitieren zu lassen. So mache ich neue Erfahrungen und wachse daran. Jedoch nie, ohne unvernünftig zu sein: Ich höre immer auf meinen Körper und mache nur so lange weiter, wie es sich gut anfühlt.

Die Kälte ist mein neuer Freund

Wieder im Seminarhaus, bin ich überrascht, wie wenig Schmerzen ich beim Aufwärmen habe – dem Moment, wenn sich warmes und kaltes Blut langsam vermischen. Mein Barfußtraining trägt Früchte: Während ein Großteil der Gruppe längere Zeit zittert und mit Daunenjacken im Raum sitzt, trage ich schnell wieder ein T-Shirt, mir ist warm.

Was hat sich seit meinem Kältetraining und dem Workshop verändert? Ich nehme die Kälte nicht mehr als bedrohlich oder unangenehm war. Auch friere ich viel weniger als früher. Winterstiefel brauche ich nicht mehr und auch Socken sind mittlerweile meist viel zu warm für meine Füße. Neulich war ich im Schwimmbad und fand die normale Wassertemperatur – im Gegensatz zu früher – unangenehm warm. Danach musste ich tatsächlich erst einmal kalt duschen.

Ich liebe mittlerweile kaltes Wasser im Gesicht, auch das war früher undenkbar. Morgens dusche ich nun nicht mehr erst warm und dann kalt, sondern ausschließlich kalt – bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Das ist zwar immer noch nicht super angenehm, aber total aushaltbar und keine große Überwindung mehr. Und das grandiose, wache Gefühl im Kopf und auf der Haut – nach der kalten Dusche – toppt einfach alles. Ich bin dankbar für diese großartige Erfahrung. Und eines ist sicher: Das war nur der Anfang.

Du willst dein Potential leben? Hier findest du 7 Prinzipien die dir dabei helfen oder einen weiteren Erfahrungsbericht und ein Experiment: 6 Monate entschleunigen auf Sardinien.

 

Kennst du die Wim-Hof-Methode oder hast schon Erfahrungen mit extremer Kälte gemacht?

Foto: James Rathmell

 

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