Warum dieser Schicksalsschlag mein größtes Geschenk war

Foto und Feder

Heute vor 14 Jahren war ich fest davon überzeugt, innerlich „fertig“ zu sein: Reif genug, weise genug und gewappnet für das Leben. Doch manchmal hat das Leben andere Pläne und es passieren Dinge, die einem zeigen, dass diese Überzeugung eine Illusion ist. Bei mir war es der Tod meines Vaters.

Ich war wirklich gut darin, Menschen zu bewerten und in Schubladen zu stecken – alle Probleme kamen gleich dazu. Und die Schlüssel zu diesen Schubladen wurden sehr weit weggeschmissen. Mit meinem Vater habe ich es genauso gemacht. Das ist zwar ein einfacher Weg, jedoch habe ich dadurch die Verbindung zu ihm völlig verloren. Jahrelang war das okay für mich, doch als mein Vater starb, sprang mir plötzlich alles aus diesen Schubladen entgegen und hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Nach anfänglicher Schockstarre hat mir dieser Schicksalsschlag gezeigt, dass es sich lohnt, sich mit den Menschen auseinander zu setzen, anstatt sie sofort zu bewerten und in Schubladen zu stecken.

Neue Blickwinkel lernen

Es gibt viele Arten von Süchten, mit denen die Menschen in ihre eigene Welt flüchten. Bei meinem Vater war es der Alkohol. Viele Süchte haben häufig eines gemeinsam: Am Anfang pushen sie dich und am Ende zerstören sie dich. Als Angehöriger ist es nicht leicht, dies hilflos mit anzusehen oder im Nachhinein seinen Frieden damit zu schließen. Und doch sind es gerade schwierigen Situationen wie diese, die einen im Leben wachsen und reifen lassen.

Wenn auch nicht mehr zu Lebzeiten, so hat mein Vater es doch noch geschafft, meinen Blick zu öffnen: Für mich selbst, meine Umwelt, Mitmenschen und die Welt. Ich habe all meine Denkmuster, Verhaltensweisen, Bewertungen oder Blickwinkel aus den Tiefen meines Inneren hervorgeholt, angeschaut und auf den Kopf gestellt. Es hat mir geholfen, meinen Horizont zu erweitern und mit Liebe, anstatt mit Hass, auf Situationen oder Menschen zu schauen.

Rückblickend betrachte ich es mittlerweile als großes Geschenk, dass mein Vater so war wie er war und dadurch meinen Weg geprägt hat: Im Positiven, durch seine Abenteuerlust, seine Lebensfreude und seinen Mut. Im Negativen durch die Art und Weise, wie er mit Herausforderungen umgegangen ist. Heute erkenne ich, dass er einen guten Job gemacht hat und mir durch seine Verhaltensweisen all meine eigenen Lernthemen wunderbar gespiegelt hat.

Trotz Todestag – Geschenke fürs Leben

Wäre ich nicht jahrelang durch all diese schwierigen Prozesse gegangen, würden mich heute Ereignisse viel leichter aus der Bahn werfen. Ich hätte niemals so viel innere Stärke gewonnen, so viel Vertrauen in das Leben bekommen – und die Bereitschaft zu wachsen gehabt. Ich würde nicht täglich an mir und meinem Weg arbeiten und liebevoll mit mir selbst und meinem Körper umgehen. Ich hätte nicht soviel Liebe und Mitgefühl für meine Mitmenschen übrig und würde weiterhin sofort bewerten und in Schubladen stecken. Ich wäre nicht so demütig dem Leben und meiner Zeit gegenüber und könnte nicht gut Nein sagen. Und ich würde mehr durchplanen und würde nicht so sehr im Moment leben und mit dem Flow schwimmen.

 

Sei präsent und schule dein Bewusstsein.
Das Hier und Jetzt ist ist der einzige Ort,
an dem Frieden herrscht.

 

In der letzten Phase vor dem Tod meines Vaters, habe ich ihn wieder als kleines verletztes Kind gesehen, welches plötzlich nicht mehr die Marschrichtung vorgab. Sein Körper zerfiel zusehends und mir ist auf eine radikale Weise klar geworden, wie hart ich manchmal zu ihm – oder mir selbst – war. Doch der Umgang mit ihm in dieser Phase, hat mich weicher gemacht und mein Herz geöffnet.

Und so blicke ich heute auf 14 wunderbar heilsame Jahre zurück. Aus einer kleinen unsicheren Raupe ist ein großer, bunter Schmetterling geworden, der neugierig die Welt erkundet. Meinem Groll ist Dankbarkeit gewichen und all diese Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wertvoll das Leben ist. Ich weiß jetzt, dass es sich immer lohnt, sich all den Herausforderungen, die das Leben zu bieten hat, zu stellen. Denn Leichtigkeit kann nur dann entstehen, wenn man auch schwere Zeiten kennt. Danke Papa, ich vermisse dich.

Foto: Stefanie Adam

 

Merke dir den Beitrag auf Pinterest: Klicke auf das Bild

Todestag, @Stefanie Adam, www.feineseele.de

Ähnliche Artikel